Soziale Arbeit und Du: Im Interview mit Andrea Trenkwalder-Egger

Date 15.05.2023

Pensionierung am Department der Sozialen Arbeit | Time to say goodbye, Andrea Trenkwalder-Egger

Unter dem Motto „Soziale Arbeit und Du“ haben wir unsere geschätzte Kollegin und Hochschulprofessorin Dr.in Andrea Trenkwalder-Egger, DSA anlässlich ihres Pensionsantritts zu einem Interview gebeten, in dem sie mit uns auch auf ihre vergangenen Jahre am MCI | Die Unternehmerische Hochschule® zurückblickt.

Soziale Arbeit und Du – wie hast du damit angefangen?

Nach der Matura machte ich meine ersten Erfahrungen mit einer klassischen Institution der Sozialen Arbeit. Im Sommer betreute ich im Auftrag des Landes Salzburg für die Abteilung Jugendwohlfahrt, Kinder und Jugendliche aus finanziell schwachgestellten Familien in einem Sommerlager in Mauterndorf.

Wer oder was inspiriert dich und warum?

Es gibt viele Menschen, die mich durch ihr Engagement im Bereich der Sozialen Arbeit inspirieren. Aktuell fällt mir mein Kollege und Freund Leo Kaserer ein, der Leiter von Cubic, der leider vor kurzem verstarb. Leo war ein begnadeter Sozialarbeiter, der Adressat:innen der Sozialen Arbeit mit großer Empathie und Wertschätzung begegnete. In seinen Rückenwindprojekten fand ich alle Aspekte wieder, die ich in meiner Forschung über gabenorientierte Soziale Arbeit (im Unterschied zu almosen- bzw. tauschorientierter Hilfestellung) beschrieb. Während ich mich theoretisch mit der Thematik befasste, setzte er diese konkret in die Praxis um.

Was hast du gemacht, bevor du am MCI zu arbeiten angefangen hast?

Nach der Matura und einigen Ferialjobs startete ich eine Ausbildung zur Hafnerin. Ich musste diese aufgrund des Konkurses der Firma vorzeitig abbrechen (zum Glück). Nach meiner Ausbildung zur Diplomsozialarbeiterin arbeitete ich in Salzburg in einem Gemeinwesenprojekt in Liefering, beim Bahnhofsozialdienst mit Obdachlosen in Innsbruck, dann in der Aidshilfe und in der Beratungsstelle "Emanzipation und Partnerschaft". Zuletzt baute ich die Verbrechensopferhilfe beim Verein Neustart in Innsbruck auf. Gleichzeitig studierte ich Erziehungswissenschaften und begann an der Akademie für Soziale Arbeit der Diözese Innsbruck zu unterrichten.

Was war Dein erster Kontakt mit dem MCI?

Ich erinnere mich noch gut daran, wie mein damaliger Chef an der Sozialakademie mich bat, etwas länger zu bleiben, weil ein junger Akademiker sich angemeldet hatte, um seine Idee über modulartige Managementausbildungen auf Hochschulniveau vorzustellen. Der junge Mann und ich mussten beide im Vorzimmer auf meinen Chef warten, der noch ein wichtiges Telefonat entgegennahm. Mein Gegenüber war etwa gleich alt und hatte zu meinem Erstaunen am Nachmittag um 4 Uhr einen dreiteiligen Anzug an (Hose, Sakko und dazu passende Weste). Auf der Sozialakademie unterrichteten wir in der sozialarbeiterischen Berufsbekleidung d.h. in Jeans und Turnschuhen. Die männlichen Kollegen zogen Anzüge nur für Konzert- und Ballbesuche an. Es stellte sich heraus, dass es sich um Dr. Andreas Altmann handelte. Das war meine erste Begegnung mit dem MCI.

Was hat dich dazu bewogen, am MCI zu lehren und zu arbeiten?

Nachdem Soziale Arbeit auch in Österreich auf Hochschulniveau gelehrt werden sollte, wurden alle Sozialakademien geschlossen und das MCI übernahm die Verantwortung für die Ausbildung.

Ich war froh, dass ich weiterhin in der Lehre tätig sein konnte, zuerst als externe Lehrende. 2008 fand ich meine berufliche Heimat am Department Soziale Arbeit. Gemeinsam mit dem damaligen Studiengangsleiter Dr. Michael Klassen, der heute Professor für Soziale Arbeit in Wiesbaden ist, bauten wir den Studiengang auf. In dieser Zeit betätigte ich mich auch im Vorstand des Österreichischen Berufsverbandes sowie in der Österreichischen Gesellschaft für Soziale Arbeit als Obfraustellvertreterin. Schon bald erwarb der Studiengang Soziale Arbeit des MCIs einen sehr guten Ruf in Österreich in Bezug auf die Professionalisierung der Sozialen Arbeit.

Was ist dein Forschungsschwerpunkt?

In meinem Forschungsschwerpunkt untersuchte ich die Interaktion zwischen Sozialarbeiter:innen und Klient:innen im Prozess der Hilfeleistung. Ich habe mich gefragt, ob Soziale Arbeit eine Art Kauf (ein Tauschgeschäft: Hilfeleistung gegen soziale Anpassung), ein Almosen (ein einseitiges Geschehen) oder eine Gabehandlung sei, bei der ein gegenseitiges Geben und Nehmen stattfinden kann, aber nicht stattfinden muss. Für mich war es sehr interessant, das Konzept der Gabe im Kontext Sozialer Arbeit zu analysieren, da gabenorientiertes Handeln zunehmend auch im digitalisierten Raum (freie Software, gabenorientierte Plattformen auf sozialen Medien) an Bedeutung gewinnt. Während meines Forschungssemesters an der UC California in Berkeley analysierte ich weitere gabenorientierte Einrichtungen und entdeckte, dass im Zentrum der Gabehandlung ein Moment der Unsicherheit zwingend vorzufinden ist. Es muss einen Moment der Unsicherheit geben, indem nicht klar ist, was passieren wird: ob die Gabe erwidert wird oder nicht. Ich bezeichnete diesen Bereich als "empty, risky space". Ich bin davon überzeugt, dass in gelingender Interaktion aber auch in innovativen Institutionen solche "empty risky spaces" zu finden sind.

Es ist mir ein großes Anliegen, die Wichtigkeit solcher Räume, in dem ein Scheitern potentiell möglich ist bzw. es den kreativen Leerlauf gibt, hervorzuheben.

Was sind deine bevorzugten Aufgaben im Job?

Ich mag es besonders gern, wenn ich bei der Unterrichtsvorbereitung selbst ein sogenanntes Aha-Erlebnis habe und beim Unterrichten merke, dass sich bei den Studierenden ein Aha-Erlebnis einstellt. Für mich ist das Gewinnen von Erkenntnis und Erkenntnisse weiter zu vermitteln eine der schönsten Aufgaben, die es gibt.

Was wirst du vermissen?

Ich werde meine Kolleginnen und Kollegen, meine Studierenden und den anregenden Austausch mit ihnen vermissen sowie die stimmungsvollen Weihnachtsfeiern.

Was war dein Highlight während deiner Zeit im Department für Soziale Arbeit?

Mein größtes Highlight war mein Forschungssemester in Berkeley im Jahr 2016/2017. Die Ausbildungsstätte für Sozialarbeit in Berkeley spielte eine bedeutende Rolle für die 68er-Bewegung in den USA. Hier wurden zahlreiche soziale Bewegungen (feministische, antirassistische usw.) initiiert. Zivilgesellschaftliches Engagement, gepaart mit einem wissenschaftlichen Fundament, findet sich noch heute bei zahlreichen öffentlich zugänglichen Veranstaltungen.

Dieses offene Klima änderte sich schlagartig, als Donald Trump im November 2016 zum Präsidenten der USA gewählt wurde. Am Vorabend waren wir noch sehr zuversichtlich, die Wahl der ersten Frau zur amerikanischen Präsidentin feiern zu dürfen. Am nächsten Tag kreisten jedoch schon Hubschrauber über dem Campus. Die Studierenden hatten ein „Schweige-Sit-In“ organisiert und verteilten Flugblätter mit Hinweisen über Rechtsbeistand für Nicht-US-amerikanische Studierende und ihre Angehörigen. Es war berührend, diese Geste der Solidarität von so vielen mitzuerleben und zugleich beängstigend aufgrund des Lärms der Hubschrauber.

Dank der Kontakte, die ich in Berkeley knüpfte, wurde ich von meinem Kollegen Weidong Wu 2018 nach China an die Universität Zhuhai eingeladen, um dort zu unterrichten. Ich wohnte auf dem Campus und lernte China von einer sehr interessanten Seite kennen.

Welches Vermächtnis hinterlässt du dem MCI und/oder den Studierenden?

Als Sozialarbeiterin lernte ich zahlreiche Menschen kennen, die sich in extrem schwierigen Situationen befanden: Alleinerziehende, die miterleben mussten, wie ihre Kinder aufgrund von Armut ausgegrenzt wurden, drogenkranke Menschen, die mit dem Ergebnis konfrontiert sind, HIV-positiv zu sein, junge Frauen, die ungewollt schwanger waren und keinerlei Unterstützung von Familie oder Freunden erhielten usw. Dabei wurde ich immer wieder überwältigt von der Kreativität, Energie und Tapferkeit, mit der Adressat:innen der Sozialen Arbeit ihre Problembereiche angingen. Mir ist es ein großes Anliegen, dass diese Menschen die bestmögliche professionelle Unterstützung erhalten. Adressat:innen der Sozialen Arbeit können sich die Sozialarbeiter:innen nicht aussuchen. Sie sind darauf angewiesen, dass wir hier am MCI unser Bestes geben.

In diesem Sinne wünsche ich meinen Kollegen und Kolleginnen viel Energie und Freude dabei, die Studierenden auf dem Weg zu einem der interessantesten und spannendsten Berufe, die es gibt, zu begleiten.

Den Studierenden wünsche ich mit den Worten unseres Bundespräsidenten, dass sie die „Eleganz und Schönheit“  einer guten Theorie und einer fundierten Ethik für eine turbulente Praxis erkennen und anwenden können und in ihrem Berufsleben als Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen so viel Freude und Erfüllung finden, wie ich es erleben durfte.

<p>Andrea Trenkwalder-Egger zu Beginn ihrer Zeit am MCI im Jahr 2008 @ MCI</p>

Andrea Trenkwalder-Egger zu Beginn ihrer Zeit am MCI im Jahr 2008 @ MCI

<p>Andrea Trenkwalder-Egger & Sonja Steixner bei der Einführungslehrveranstaltung für unsere Bachelorstudierenden @ MCI</p>

Andrea Trenkwalder-Egger & Sonja Steixner bei der Einführungslehrveranstaltung für unsere Bachelorstudierenden @ MCI

<p>Andrea Trenkwalder-Egger mit ihrer Publikation zu ihrem Forschungsschwerpunkt @ MCI</p>

Andrea Trenkwalder-Egger mit ihrer Publikation zu ihrem Forschungsschwerpunkt @ MCI

<p>Andrea Trenkwalder-Egger nach ihrem Forschungssemester in Berkeley @ MCI</p>

Andrea Trenkwalder-Egger nach ihrem Forschungssemester in Berkeley @ MCI

<p>Andrea Trenkwalder-Egger @ MCI</p>

Andrea Trenkwalder-Egger @ MCI

<p>Andrea Trenkwalder-Egger zu Beginn ihrer Zeit am MCI im Jahr 2008 @ MCI</p>
<p>Andrea Trenkwalder-Egger & Sonja Steixner bei der Einführungslehrveranstaltung für unsere Bachelorstudierenden @ MCI</p>
<p>Andrea Trenkwalder-Egger mit ihrer Publikation zu ihrem Forschungsschwerpunkt @ MCI</p>
<p>Andrea Trenkwalder-Egger nach ihrem Forschungssemester in Berkeley @ MCI</p>
<p>Andrea Trenkwalder-Egger @ MCI</p>
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